Co-Regulation bei Hochsensibilität

Co-Regulation bei Hochsensibilität

Co-Regulation – das klingt erstmal technisch. Doch dahinter verbirgt sich eine zutiefst menschliche, hochsensible Fähigkeit: unser Nervensystem kann sich mit dem eines anderen Menschen verbinden, mitschwingen, beruhigen – oder eben mitleiden.

Für hochsensible Menschen ist diese Fähigkeit oft besonders ausgeprägt. Sie spüren Stimmungen schneller, fühlen intensiver mit, nehmen Spannung, Stress oder Verzweiflung anderer in sich auf – manchmal, ohne es zu merken. Und genau das kann zur Herausforderung werden.

Wenn Nähe zur Belastung wird

Hochsensible Menschen möchten helfen, da sein, stabilisieren. Sie bringen viel emotionale Intelligenz mit, tiefe Intuition, eine hohe Bereitschaft zur Verbindung. Doch wenn sie sich selbst dabei vergessen, wird aus Mitgefühl Erschöpfung. Aus Zuwendung wird Überlastung. Und aus der Sehnsucht nach echter Verbindung wird energetisches Ausbrennen.

Fallbeispiel 1:
Die emotionale Sogwirkung einer frischen Bekanntschaft Isabel (41) lernt David bei einer Veranstaltung kennen. Die Verbindung ist direkt spürbar: tiefgründige Gespräche, gemeinsame Werte, ein ähnlicher Blick auf die Welt. Sie ist hochsensibel – und offen für neue Begegnungen.

David öffnet sich schnell: Er steckt in einer Krise. Er hat Schlafprobleme, Zukunftsängste, körperliche Beschwerden, fühlt sich antriebslos. Isabel hört zu, fühlt mit, bleibt geduldig. Doch schon beim ersten Besuch in seiner Wohnung spürt sie etwas Seltsames: Es ist schwer. Energetisch schwer. Die Luft scheint zu hängen, als wäre die Traurigkeit spürbar greifbar.

David redet wenig an diesem Tag, zieht sich zurück. Isabel dagegen fühlt sich plötzlich erschöpft, traurig, fremd in ihrem eigenen Körper. Sie nimmt die ganze Atmosphäre in sich auf. Erst zu Hause merkt sie: Sie hat nichts von sich geschützt. Sie hat mitgefühlt – aber nicht abgegrenzt.

In den Tagen danach braucht sie lange, um wieder in ihre eigene Energie zu kommen.

Fallbeispiel 2:
Eltern-Kind-Dynamik – Wenn Liebe zur Überforderung wird Marie (36) ist Mutter eines siebenjährigen Sohnes, Leo. Beide sind hochsensibel. Leo kommt nach der Schule oft aufgewühlt nach Hause – laut, impulsiv, überreizt. Marie möchte helfen. Sie spürt seine Unruhe sofort und versucht, ihn zu beruhigen: mit leiser Stimme, Umarmungen, geduldigem Zuhören. Sie reguliert mit – voller Hingabe.

Doch am Abend ist sie selbst völlig ausgelaugt. Ihr Kopf dröhnt, sie ist fahrig, überreizt. Es dauert eine Weile, bis ihr bewusst wird: Sie reguliert nicht nur gemeinsam, sie übernimmt unbewusst die emotionale Last für Leo. Ihr Nervensystem übernimmt – und verliert dabei die eigene Stabilität.

Erst als sie beginnt, bewusste Pausen einzubauen, energetisch wieder in ihre eigene Mitte zurückzufinden, verändert sich die Dynamik. Leo bleibt ihr Kind – aber Marie bleibt bei sich.

Warum hochsensible Menschen besonders co-regulieren

Das Nervensystem hochsensibler Menschen ist feiner eingestellt. Reize, Spannungen und Emotionen anderer landen oft wie ungefiltert im eigenen Körper. Besonders in engen Beziehungen – in Partnerschaften, Freundschaften oder Elternrollen – verschmilzt das eigene Empfinden schnell mit dem des Gegenübers.

Diese Fähigkeit ist ein Geschenk: Sie ermöglicht tiefe Verbindung, echtes Mitfühlen, Resonanz. Doch sie braucht auch Bewusstsein und Schutz. Denn wenn du nur noch sendest, aber nicht mehr empfängst, wenn du mitschwingst, aber nicht mehr du selbst bist – verlierst du die Balance.

Wie du Co-Regulation bewusst gestaltest, ohne dich selbst zu verlieren

1. Kognitive Selbstklärung: Werde dir deiner inneren Grenze bewusst Führe ein „Grenzentagebuch“, in dem du Situationen notierst, die dich emotional überfordern. Welche Auslöser gab es? Wie hast du reagiert? Was brauchst du stattdessen? Diese bewusste Selbstreflexion hilft dir, dich besser kennenzulernen – und zwischen deinen eigenen und fremden Emotionen zu unterscheiden.

2. Kommunikative Grenzsetzung: Mit Ich-Botschaften statt Rückzug Viele Hochsensible vermeiden Konflikte – aus Angst vor Ablehnung. Doch deine Grenzen brauchen Sprache. Sag zum Beispiel: „Ich merke, dass ich gerade Zeit für mich brauche“ oder „Diese Stimmung zieht mich gerade sehr runter – ich brauche eine Pause.“ So bleibst du in Verbindung, ohne dich zu verbiegen.

3. Körpersignale ernst nehmen Spannung, Kopfschmerzen, Schweregefühl, Gereiztheit: Sie zeigen dir, dass dein System überlastet ist. Mach regelmäßig kleine Check-ins – besonders nach intensiven Gesprächen.

4. Energetische Trennung üben Stell dir innerlich vor, wie du dich von deinem Gegenüber löst. Visualisiere einen Schutzraum, ein Lichtfeld, eine Grenze. Es hilft, auch körperlich einen Schritt zurückzutreten.

5. Achtsamkeit & Erdung: Komm zurück in deine Regulation Atme tief. Geh spazieren. Leg die Hand aufs Herz. Sing. Tanze. Meditiere. Nutze kleine Rituale, die dich zurück in deinen Körper holen. Regelmäßige Rückzugszeiten helfen, emotionales Gleichgewicht wiederzufinden.

6. Unterscheide förderliche und zehrende Beziehungen Nicht jeder Mensch tut dir gut. Manchen begegnet man, und es wird sofort leichter. Andere ziehen – subtil oder offen – Energie. Du darfst das erkennen. Und du darfst den Kontakt reduzieren. Es ist kein Egoismus, sondern Fürsorge für dein Nervensystem.

7. Hol dir professionelle Begleitung Manche Muster sind tief. Wenn du spürst, dass du dich immer wieder verlierst, kann ein Coaching oder eine Psychotherapie sinnvoll sein. Besonders hilfreich: verhaltenstherapeutische Ansätze zur Grenzsetzung und schematherapeutische Arbeit an alten Beziehungsdynamiken.

Fazit:

Verbindung braucht Grenzen Co-Regulation ist eine kostbare Fähigkeit – besonders für hochsensible Menschen. Sie kann Nähe vertiefen, Vertrauen stärken, Heilung fördern. Aber nur dann, wenn du dich dabei nicht selbst verlierst.

Deine Energie ist kostbar.

  • Sie darf fließen – aber nicht versickern.
  • Du darfst lieben – aber auch dich selbst schützen.
  • Du kannst da sein – und gleichzeitig bei dir bleiben.

Du spürst oft zu viel?

Fühlst dich nach Gesprächen leer oder überfordert? Im Coaching schauen wir gemeinsam, wie du dein feinfühliges Nervensystem besser schützt und gleichzeitig in Verbindung bleiben kannst.

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